Was wäre, wenn ... Citizen Development mit den Prinzipien aus Reinventing Organizations kombiniert würde?
In einer sich ständig wandelnden Geschäftswelt ist Anpassungsfähigkeit der Schlüssel zum Erfolg. Doch was wäre, wenn Mitarbeiter nicht nur auf Veränderungen reagieren, sondern selbst aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung mitwirken könnten? Die Konzepte Citizen Development und Selbstorganisation, wie sie in Reinventing Organizations beschrieben werden, bieten genau diese Möglichkeit. Durch die Verschmelzung dieser Ansätze können Unternehmen eine agile und kreative Kultur fördern, in der Mitarbeiter eigene Softwarelösungen entwickeln und selbstorganisiert arbeiten – unabhängig von traditionellen Hierarchien. Diese neue Art der Zusammenarbeit ermöglicht nicht nur eine höhere Innovationsgeschwindigkeit, sondern steigert auch das Engagement und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Doch welche Vorteile bringt diese Kombination wirklich, und wo lauern potenzielle Risiken? In diesem Beitrag beleuchten wir die Synergien dieser beiden Konzepte und zeigen, wie sie die Arbeitswelt nachhaltig verändern können.
Prinzipien aus Reinventing Organizations
Reinventing Organizations von Frederic Laloux beschreibt eine neue Art der Organisationsstruktur, die auf Ganzheitlichkeit, Selbstführung und einem evolutionären Sinn basiert. Hier sind die wichtigsten Kernaussagen des Buches:
- Evolutionäre Stufen von Organisationen
Laloux beschreibt die Entwicklung von Organisationen durch verschiedene Stufen, die er mit Farben kennzeichnet. Jede Stufe repräsentiert eine bestimmte Art der Zusammenarbeit und Führung, von traditionellen hierarchischen Strukturen bis hin zu modernen, selbstorganisierten Teams. - Selbstführung
Eine der zentralen Ideen ist die Selbstführung, bei der Mitarbeiter eigenverantwortlich und ohne traditionelle Hierarchien arbeiten. Dies fördert die Autonomie und das Engagement der Mitarbeiter. - Ganzheitlichkeit
Laloux betont die Bedeutung der Ganzheitlichkeit, bei der Mitarbeiter ermutigt werden, ihre ganze Persönlichkeit in die Arbeit einzubringen. Dies schafft ein authentischeres und erfüllenderes Arbeitsumfeld. - Evolutionärer Sinn
Organisationen sollten einen evolutionären Sinn verfolgen, der über finanzielle Ziele hinausgeht. Dies bedeutet, dass sie sich kontinuierlich weiterentwickeln und anpassen, um einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.
Prinzipien des Citizen Developments
Citizen Development bezieht sich auf die Möglichkeit, dass Mitarbeiter ohne tiefe Programmierkenntnisse eigene Anwendungen und Lösungen erstellen, um Geschäftsprozesse zu optimieren. Hier sind die Kernaussagen:
- Empowerment von Nicht-IT-Mitarbeitern
Mit Low-Code/No-Code-Plattformen wie Microsoft Power Platform können Fachkräfte Softwareanwendungen entwickeln, ohne auf IT-Abteilungen angewiesen zu sein. - Schnellere Lösungsentwicklung
Es ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Geschäftsanforderungen, da Citizen Developers direkt die Lösungen entwickeln, die sie selbst benötigen. - Entlastung der IT-Abteilungen
IT-Teams werden entlastet, da Routineaufgaben und kleine Applikationen von den Fachabteilungen selbst erstellt werden. - Herausforderungen bei Governance und Sicherheit
Es besteht die Gefahr von Schatten-IT, weshalb Unternehmen klare Richtlinien und Governance-Strukturen implementieren müssen. - Wichtige Erfolgsfaktoren
Erfolgreicher Citizen Development hängt von Schulungen, der richtigen Auswahl von Tools sowie einer starken Zusammenarbeit zwischen IT und den Fachabteilungen ab.
Kombination beider Ansätze
Setzen wir die Inhalte von Reinventing Organizations von Frederic Laloux mit dem Citizen Development Ansatz in Beziehung, ergeben sich spannende Anknüpfungspunkte und Synergien:
Wie würde die Kombination aussehen?
- Selbstmanagement (Reinventing Organizations) + Citizen Empowerment (Citizen Development)
- In einer Organisation, die auf Selbstmanagement basiert, könnten Citizen Developers autonom Softwarelösungen entwickeln, ohne auf hierarchische Entscheidungsprozesse zu warten. Mitarbeiter in verschiedenen Abteilungen nutzen Low-Code/No-Code-Plattformen wie die Power Platform, um schnell auf Bedürfnisse zu reagieren und Prozesse zu optimieren.
- Die Verantwortung für Entscheidungen, welche Tools und Lösungen entwickelt werden, läge direkt bei den Nutzern. Dies würde nahtlos zu den Prinzipien der Selbstorganisation passen, wo Entscheidungen direkt dort getroffen werden, wo sie die größten Auswirkungen haben.
- Ganzheitlichkeit (Reinventing Organizations) + Kreativität und Problemnähe (Citizen Development)
- Mitarbeiter würden ihre ganze Person in die Arbeit einbringen und nicht nur Aufgaben innerhalb starrer Jobbeschreibungen erfüllen. Citizen Developers könnten ihre technischen Fähigkeiten, aber auch Kreativität und fachliches Wissen kombinieren, um innovative Lösungen zu entwickeln, die ihren individuellen Anforderungen und denen des Teams entsprechen.
- Da sie sozusagen an der „Quelle“ sitzen, verstehen sie die Prozesse am besten und können maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, die sofort anwendbar sind.
- Evolutionärer Sinn (Reinventing Organizations) + Schnellere Anpassung (Citizen Development)
Die Organisation würde sich evolutionär entwickeln, indem sie flexibel auf Veränderungen in der Umgebung reagiert. Citizen Development ermöglicht es, diese Anpassung durch schnelle, iterative Entwicklung von Lösungen zu unterstützen. Die Teams entwickeln die Tools, die sie im Moment brauchen, was die Organisation agiler und innovationsfreudiger macht.
Vorteile der Kombination
- Schnellere Anpassung an Marktveränderungen
In einem schnelllebigen Marktumfeld ist es entscheidend, schnell auf Veränderungen zu reagieren. Die Kombination von Selbstorganisation und Citizen Development ermöglicht es Unternehmen, flexibel zu bleiben und proaktiv auf neue Markttrends, technologische Veränderungen oder Kundenbedürfnisse einzugehen. Mitarbeiter können ihre Lösungen fortlaufend verbessern und an neue Anforderungen anpassen, ohne auf die Freigabe oder Unterstützung von zentralen IT-Teams zu warten. Dies beschleunigt den Innovationszyklus und schafft eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. - Förderung von Kreativität und Innovation
Durch die Dezentralisierung der Entwicklung und Entscheidungsfindung erhalten Mitarbeiter mehr Freiheit, ihre kreativen Ideen in Form von Anwendungen oder Prozessen umzusetzen. Dies schafft eine Kultur der kontinuierlichen Innovation, in der Mitarbeiter laufend neue Lösungen für bestehende Herausforderungen finden können. Da die Anwendungen direkt von denjenigen entwickelt werden, die sie nutzen, profitieren Unternehmen von einer breiten Vielfalt an Perspektiven und Ideen, die von verschiedenen Abteilungen und Fachleuten stammen. Dies führt zu vielfältigeren und innovativeren Lösungen. - Höhere Innovationsgeschwindigkeit
Durch die Kombination von Selbstorganisation und der Möglichkeit, Anwendungen ohne tiefes technisches Wissen zu erstellen, könnten Organisationen sehr schnell auf Marktveränderungen reagieren. Innovation wäre nicht nur auf die IT oder Führungsebene beschränkt, sondern könnte auf jeder Ebene der Organisation stattfinden. - Stärkere Kundenorientierung
Teams, die in direktem Kontakt mit Kunden oder internen Stakeholdern stehen, können schneller und besser auf deren Bedürfnisse reagieren. Sie können kundenzentrierte Lösungen ohne Verzögerungen durch IT oder bürokratische Prozesse entwickeln, was zu besseren Dienstleistungen und höherer Kundenzufriedenheit führt. - Bessere Skalierbarkeit von Lösungen
Anwendungen, die von Citizen Developers entwickelt werden, können oft leicht erweitert und angepasst werden. Dies erleichtert die Skalierbarkeit von Lösungen, wenn das Unternehmen wächst oder sich neue Anforderungen ergeben. - Reduzierung von Kosten und Zeitaufwand
Da Fachabteilungen in der Lage sind, eigene Anwendungen zu entwickeln, müssen sie weniger auf externe IT-Dienstleister oder die zentrale IT-Abteilung zurückgreifen. Dies spart Kosten, die normalerweise durch externe Entwicklungsprojekte oder lange IT-Freigabeprozesse entstehen würden. Mitarbeiter entwickeln genau die Anwendungen, die sie für ihre täglichen Aufgaben benötigen. Dies kann dazu beitragen, ineffiziente Prozesse zu eliminieren und Arbeitsabläufe zu straffen, was zu Zeit- und Kosteneinsparungen führt. - Förderung einer lernenden Organisation
Wenn Mitarbeiter befähigt werden, eigene Lösungen zu entwickeln, wächst ihr technologisches und prozessuales Verständnis. Diese Lernkurve führt zu einer kompetenteren Belegschaft, die Wissen teilt und voneinander lernt. Dies fördert eine Kultur des Wissensaustauschs und des kontinuierlichen Lernens. Citizen Developers bringen Fachwissen und technologische Fähigkeiten zusammen. Dies fördert ein besseres Verständnis für technische Möglichkeiten und schafft eine Brücke zwischen Geschäftsanforderungen und technischer Umsetzung. - Engagement und Motivation der Mitarbeiter
Mitarbeiter fühlen sich stärker eingebunden, da sie aktiv zur Entwicklung und Verbesserung von Prozessen beitragen können. Sie sind keine passiven Empfänger von Anweisungen, sondern Gestalter ihrer Arbeitsumgebung. Dies steigert das Engagement und die Zufriedenheit.
Mögliche Nachteile und Herausforderungen
- Governance und Sicherheitsrisiken
Wenn jeder autonom Software entwickelt, besteht die Gefahr der Schatten-IT. Ohne klare Governance- und Sicherheitsrichtlinien könnten wichtige Daten ungeschützt sein oder es könnte zu Sicherheitslücken kommen. Es wäre wichtig, starke Regeln für die Nutzung von Citizen Development Tools aufzustellen, um Missbrauch zu verhindern. - Fragmentierte IT-Landschaft
Wenn verschiedene Teams und Einzelpersonen eigene Anwendungen entwickeln, kann dies zu einer fragmentierten IT-Infrastruktur führen. Es entstehen viele isolierte Lösungen, die möglicherweise nicht nahtlos miteinander oder mit den Kernsystemen des Unternehmens integriert sind. So könnten mit der Zeit viele unstrukturierte und schlecht dokumentierte Anwendungen entstehen, die langfristig schwer zu warten oder zu erweitern sind. Dies führt zu technischen Schulden, die später kostspielig behoben werden müssen. - Mangelnde Führung und Kontrolle
In einem Modell, das auf Selbstorganisation basiert, könnte es schwer sein, eine klare Verantwortlichkeit sicherzustellen. Ohne klare Leitlinien oder Kontrolle kann es zu ineffizienter Entscheidungsfindung und unkoordinierten Handlungen kommen. Während Citizen Development Innovationen fördern kann, bedarf es einer starken Governance, um sicherzustellen, dass die entwickelten Anwendungen den unternehmensweiten Sicherheits- und Qualitätsstandards entsprechen. Wenn diese fehlen, besteht die Gefahr von Sicherheitslücken, Datenschutzverletzungen oder unvorhersehbaren Folgen. - Verlust der strategischen Ausrichtung
Während die Flexibilität und Schnelligkeit von Citizen Development Vorteile bieten, besteht die Gefahr, dass Organisationen den Fokus auf strategische, langfristige Ziele verlieren. Individuelle Lösungen könnten schnell entwickelt werden, ohne dass sie zur Gesamtstrategie des Unternehmens passen. In selbstorganisierten Strukturen ohne klare Führung kann es passieren, dass der übergeordnete Zweck oder der „evolutionäre Sinn“ der Organisation verwässert wird. Wenn jeder seine eigene Richtung verfolgt, verliert die Organisation möglicherweise ihren klaren Fokus. - Überforderung der Mitarbeiter
In selbstorganisierten Strukturen kann es vorkommen, dass Mitarbeiter sich überfordert fühlen, wenn sie sowohl ihre regulären Aufgaben als auch die Entwicklung und Pflege eigener Anwendungen übernehmen müssen. Dies kann zu Stress und gar bis zu Burnout führen, vor allem, wenn sie nicht ausreichend Unterstützung erhalten.
Obwohl Low-Code/No-Code-Plattformen einfach zu bedienen sind, erfordern sie dennoch ein gewisses technisches Verständnis. Nicht jeder Mitarbeiter ist technisch affin genug, um effektive Lösungen zu entwickeln, was zu ineffizienten oder fehleranfälligen Anwendungen führen kann. - Koordinationsaufwand
Wenn jeder unabhängig voneinander Anwendungen entwickelt oder Prozesse gestaltet, könnte es schwierig werden, den Überblick über alle Aktivitäten zu behalten und sicherzustellen, dass alle Teams auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Ohne klare Koordination könnten verschiedene Teams ähnliche oder redundante Anwendungen entwickeln, was zu Doppelarbeit und Ressourcenverschwendung führt.